Dienstag, 17. November 2020

Ein Sonntagabend auf Facebook - von Christina Schumacher

15.11.2020

Ich lese, dass die Pflege selbst schuld ist, am Personalmangel. Weil wir uns partout «akademisieren» müssen und dabei die eigentliche Arbeit aus den Augen verlieren. Weil wir uns viel zu sehr auf die HF/FH Ausbildungen fokussieren, dabei wäre das gar nicht nötig. Sagt der Laie. Mehr Assistenzpersonal sei die Lösung. Und natürlich ein niederschwelliger Einstieg, die Anforderungen seien doch viel zu hoch! Ich versuche kurz zu diskutieren. Erfolglos. Die Meinung ist gemacht. Pflege kann grundsätzlich mal Jede*, es braucht nur «ein gutes Herz».

Dann lese ich den Beitrag einer Kollegin, die gerade Nachtdienst hat:

"Die letzte Nacht war hart. Es ist eine von diesen gewesen, in der ich am Morgen froh war, dass alle noch lebten. Eine tracheotomierte Patientin musste fast alle 15min abgesaugt werden, ein anderer Patient hat sich die Magensonde gezogen, in seiner Verwirrung. Ich habe gespürt, dass es ihm nicht gut geht und den Dienstarzt avisiert. Dieser war zuerst nicht begeistert. Nur 15min später war der Patient dann massiv hypoton und die Sauerstoffsättigung fiel. Der Dienstarzt war schnell am Bett. Wir haben Volumen gegeben und als die IPS Ärztin kam, war der Patient wieder soweit stabil, dass er sich nicht mehr für die IPS qualifizierte. Ich stand dort über eine Stunde am Bett. Meine Kollegin der Nachbarstation hat sich um die restlichen zehn Patienten gekümmert. Darunter mehrere Frischoperierte, die durchaus Komplikationen hätten machen können. Ich habe noch zwei Nächte vor mir..." 

Und da denkt ein Politiker, es ginge auch mit weniger und weniger gut ausgebildetem Personal. Weniger Personal? Die kleinste Menge Pflege ist eins (in Zahlen: 1). Ein Spital ist ein 24h-Betrieb und zu oft schon sind wir alleine auf einer Schicht. Dass die Kollegin der Nachbarstation aushelfen kann, ist alles andere als selbstverständlich. Sie hat genau so viele Patienten, für die sie alleine zuständig ist. Weniger gut ausgebildetes Personal? «I am just a Nurse», schreibt Suzanne Gordon in ihrem berühmten Gedicht. «Ich bin nur eine Pflegefachfrau. Ich mache nur den Unterschied aus zwischen Leben und Tod.» Es darf kein Zufall sein, dass ein Patient die Nacht überlebt. Es darf kein Zufall sein, dass eine Patientin keine schwere Komplikation macht. Es darf keine Frage des Sparens sein, ob eine diplomierte Pflegefachfrau da ist und die Anzeichen erkennt. Es ist keine politische Frage – und schon gar keine politische Antwort! – wie viel und wie gut ausgebildetes Pflegepersonal wo im Einsatz ist. Wir machen den Unterschied. Wenn wir aber weggespart werden, fachlich und personell, dann ist es auch die Politik, die dafür die Verantwortung übernehmen muss.  Sie müssen sich bewusst sein, dass sie die Verantwortung über Leben und Tod tragen.  

Christina Schumacher

*Personenbezeichnungen gelten jeweils für alle Geschlechter.

2 Kommentare:

  1. "Niederschwelliger Einstieg", "Pflege kann grundsätzlich mal Jeder", das haben schon die Roten Khmer in Kambodscha vorexerziert ...

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  2. Toll Euer Engagement. Leider bleibt vielen im Beruf der Pflege nur der Notausgang via Kündigung und dann vorübergehend weniger Geld zu haben. Die Intensivstationen ist das Herz der Pflege aber rund herum gibt es enorm viel Pflegearbeit.
    In den Spitex Betrieben hat die Belastung massiv zugenommen und die Wertschätzung massiv abgenommen.
    Es darf keine Wertschätzung mehr geben von gemeinsamen Anlässen wegen dem Virus. Diese sind aber enorm wichtig in der Pflege und im speziellen in der Spitex, da man ja die meiste Zeit alleine bei den Kranken ist am Pflegen.
    Der Psychische Zustand unserer Klienten hat sich massiv verschlechtert wegen Covid, aber das einzige was wirklich angeschaut wird im Büro sind die verrechenbaren Stunden. Die sind das wichtigste in der heutigen Spitex Pflege und dies obwohl der Weg nie als Stunden dazu gezählt wird. Was bleibt sind 2 Varianten.
    Bleiben mit viel Stress und sozusagen Null Wertschätzung oder gehen mit einer ungewissen Zukunft und dem Gefühl die Gesellschaft in der schlimmsten Krise verlassen zu haben.

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