Freitag, 20. November 2020

Verluste - von Madame Malevizia

Ich bin in grosser Sorge, um alle meine Kolleginnen und Kollegen, die jetzt gerade mitten in diesem Erdbeben des Gesundheitswesens stehen. Wir alle sehen, wie es kaum mehr geht. Müssen Dinge am Laufen halten, die eigentlich gar nicht mehr am Laufen gehalten werden können. Wir sehen und hören Dinge, die belasten, uns hilflos und ratlos zurücklassen. 

Eine Kollegin hilft auf der Intensivstation aus. Betten hat es keine mehr, innert 40 Minuten drei Covid Positive neu aufgenommen. Die Entscheidung, wen behandeln wir noch und wen nicht kommt immer näher. Eine gestandene Pflegefachfrau mit extrem viel Erfahrung und Fachwissen - am Boden und mag nicht mehr.

Eine weitere Kollegin hatte gestern ihren letzten Arbeitstag auf der Intensivstation. Über zehn Jahre hat sie mit viel Herzblut am Bett gearbeitet. Nach der 1. Welle hat sie gekündigt und sich eine Stelle weg vom Bett gesucht. Sie kann nicht mehr. Ständig in diesem Spannungsfeld sein zwischen dem, was gute Pflege ist und dem was man bieten kann, nämlich maximal sichere Pflege, hat sie zermürbt. Die letzten Wochen haben ihr noch den Rest gegeben, sie will nur noch weg. 

Diese beiden Geschichten zeigen, wir verlieren gerade. Nicht nur Patienten, sondern gute, engagierte Pflegende. Still und leise, verlassen sie ihre Arbeitsplätze. Sie gehen. Nicht weil sie ihre Arbeit nicht mehr lieben, sondern weil sie sich selbst schützen müssen. Für das Gesundheitswesen sind solche Abgänge ein riesiger Verlust. Ein Verlust an Erfahrung und Fachwissen, der nicht einfach so ersetzt werden kann.

Es ist deshalb von enormer Wichtigkeit, dass Pflegende jetzt in dieser Krise besonders unterstützt werden. In Form von Coachingangeboten zum Beispiel oder anderen Gefässen, die zumindest eine emotionale Entlastung ermöglichen und verhindern, das Pflegende traumatisiert aus dieser Zeit herauskommen . Doch wer tut das? Richtig, niemand. Im Gegenteil. Politisch hören wir noch, dass wir zynisch sind, wenn wir jetzt Forderungen stellen.

Der Ernst der Lage wird weiter heruntergespielt. Es wird von verfügbaren Betten gesprochen, es werden Spitalleitungen gefragt, wie es geht. Aber niemand fragt die, die jetzt gerade an der Basis ihren Mann oder ihre Frau stehen. Mit Basis meine ich alle Gesundheitsbereiche, denn das Covid – Erdbeben ist flächendeckend.

Ich weiss, viele «da draussen», die nichts mit der Pflege zu tun haben, wollen das nicht hören. Sie schauen sich lieber die Zahlen an, weil Zahlen so schön rational und deshalb besser aushaltbar sind. Es ist einfacher, zu sagen: «Die haben diesen Beruf gewählt, die müssen das können!» Diesen Menschen möchte ich nur eines sagen: Pflegefachperson ist ein Beruf, keine eigene Spezies. Auch wir sind Menschen. Auch wir haben das Recht auf unsere Würde und Unversehrtheit. Und wenn jetzt nicht Sorge getragen wird zu diesen Menschen, werden die Verluste gross sein. 

Madame Malevizia



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