Sonntag, 22. November 2020

Fachfrauen an die Front! - von Christina Schumacher

 

Wir haben ein Problem. Naja, wir haben mehrere. Aber eines haben wir ganz besonders: Es besteht ein riesiger Graben zwischen dem, was Pflegefachpersonen tun – und zwar tagtäglich, nicht nur zu Zeiten der Pandemie – und dem, was die Öffentlichkeit, inklusive Politik glaubt, dass wir tun. In den Köpfen spuken immer noch Bilder herum entweder von demütig-duldsamen Ordensfrauen, die schweigend von einem Arzt (ja, männlich, ausschliesslich) ihre Instruktionen entgegennehmen und deren hauptsächliche Tätigkeit das Auflegen ihrer Hände ist oder dann von sexy-hexy Krankenschwestern, die fröhlich durch die Gänge hüpfen und dem Arzt (immer noch männlich) untergeordnet sind. Vielleicht zerstöre ich nun ein paar Illusionen, aber: So ist es nicht. Weder noch. Und war es zum grössten Teil auch nie. Ich habe noch einige Ordensfrauen im Beruf erlebt. Die hatten dann Haare auf den Zähnen! Und Fachwissen im Gepäck! Vor denen hat so mancher Arzt gezittert. Ärztinnen übrigens auch. 

 

Diese Bilder aber, die unbestritten einfach da sind, führen vor allem dazu, dass man uns als Berufsgruppe nicht ernst nimmt. Die Pflege erbringt über 80% der Arbeit bei Personen, die an COVID-19 erkrankt sind. Die Pflege erbringt ebenfalls über 80% der Arbeit zum Schutz von besonders gefährdeten Personen. Gerade in den Langzeitinstitutionen. Gerade in der Spitex. Pflegefachpersonen mit ihrer Expertise sitzen aber nirgendwo in den Krisenstäben zur Bewältigung der Pandemie. Man spricht nun zum zweiten Mal über den Einsatz von Militär und Zivilschutz. Eine gute Idee. Nur: Ob und wie Militär und Zivilschutz in der Pflege eingesetzt werden können, muss man schon mit uns besprechen. Ohne Kenntnisse darüber, was die Pflege eigentlich tut und insbesondere darüber, welche Aufgaben und Kompetenzen die einzelnen Ausbildungsstufen haben, ist solch ein Einsatz zum Scheitern verurteilt. Man kann keine Expertin Intensivpflege mit einem Sanitätssoldaten ersetzen (ausser er ist im zivilen Leben Experte Intensivpflege, aber dann wird er nicht eingezogen in der aktuellen Situation). Es gibt durchaus Tätigkeiten und Einsatzgebiete für Militär, Zivilschutz und ja, auch für Freiwillige. Man muss das aber koordinieren.

Es müsste doch – beim Stand der Pandemie zum jetzigen Zeitpunkt – von oberstem Interesse sein, dass die Fachkenntnisse von Pflegenden am genau richtigen Ort eingesetzt werden. Und nur dort. Es darf zum Beispiel nicht an den mangelhaften Strukturen zur Kinderbetreuung scheitern. Ein Punkt, den ich seit dem Frühling 2020 immer wieder erwähne - erfolglos: Stellt nicht einen Zivildienstleistenden auf eine Intensivstation. Stellt ihn der Expertin Intensivpflege nach Hause, dass er dort die Kinder betreut und sie auf die Intensivstation. Schafft Strukturen, dass Pflegefachpersonen jetzt am richtigen Ort sein können. Nehmt ihnen organisatorisch alles ab, was jemand anderes tun kann. Versorgt sie mit Essen. Stellt ihnen Parkplätze zur Verfügung oder setzt eine Transportkompanie ein, um Pflegende zur Arbeit und von dort nach Hause zu bringen – egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit.

 

Aber ganz zuerst und bis ganz am Ende: Fragt uns! Hört uns zu! Wir sind die Berufsgruppe der Stunde – ob einem das nun gefällt oder nicht – und Krisenmanagement können wir.

 

Christina Schumacher,

dipl. Pflegefachfrau und Unteroffizierin der Schweizer Armee a.D.

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