Freitag, 11. Dezember 2020

Sind Sie für uns? - von Christina Schumacher

Es darf und muss auch einmal gesagt werden: Wir Pflegenden erleben gerade in der aktuellen Situation mit der COVID-19 Pandemie sehr viel Solidarität in der Bevölkerung. So viele Personen, die uns tatsächlich zuhören, unsere Beiträge kommentieren und teilen und innerhalb ihrer Möglichkeiten wirklich alles für uns tun. Ihr seid grossartig. Ihr haltet uns aufrecht. Danke Euch!

Es sind dies alles „normale“ Leute, wie du und ich. Die Bürger*innen dieses Landes. Damit sich aber etwas ändert – jetzt konkret, aber auch ganz grundsätzlich – braucht es hingegen die Politik. Von dort hören wir im besten Fall ein ohrenbetäubendes Schweigen, im schlimmsten Fall werden unsere Anliegen klein geredet, negiert und verhöhnt. Tatsächlich müssten die Politikerinnen und Politiker dieses Landes hinstehen und zugeben, dass man das Problem mit dem Fachkräftemangel in der Pflege in den letzten zehn oder zwanzig Jahren schlicht verschlafen hat. Man müsste das eigene Versagen eingestehen. Dass Politiker dies nicht gerne machen, ist uns klar.

Man muss sich das einmal vorstellen. Noch nicht einmal in der aktuellen Situation, in der wohl jeder und jede irgendwie mitbekommen hat, dass es mit den Pflegefachpersonen ein Problem gibt und Betten alleine keinem einzigen Patienten, keiner einzigen Patientin irgendwie helfen können, ist immer noch mehr als die Hälfte des Ständerates gegen den – miserablen – indirekten Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative. Kurz zur Erklärung, was die am 29. November 2017 mit 120‘000 Unterschriften vom SBK eingereichte Pflegeinitiative fordert:

1. Wir fordern eine massive Ausbildungsoffensive! Dass die Schweiz nicht einmal die Hälfte des benötigten Pflegefachpersonals ausbildet, ist ein Armutszeugnis. Die Auslandsabhängigkeit ist gefährlich und ethisch nicht vertretbar.

2. Wir fordern, dass die Autonomie der Pflege endlich anerkannt wird! Die Pflege ist gesetzlich immer noch als medizinischer Hilfsberuf eingestuft. Pflegefachpersonen sind jedoch hochkompetente Gesundheitsfachpersonen, die dank ihrer Ausbildung wesentlich dazu beitragen, dass unser Gesundheitssystem für alle Herausforderungen gerüstet ist.

3. Wir fordern mehr Zeit für Pflege! Unsere Berufsleute pflegen Menschen. Wir fordern ein Ende der Pflege "à la minute". Nicht das Geld, sondern die Patientinnen und Patienten müssen im Mittelpunkt stehen. Wir fordern deshalb dem Pflegebedarf angepasste Personalschlüssel.

4. Wir fordern bessere Arbeitsbedingungen, und zwar jetzt! Die Arbeitsbedingungen müssen so gestaltet werden, dass mehr Menschen den Pflegeberuf ergreifen, ihre Laufbahn darin planen und so ein Berufsleben lang gesund und motiviert in der Pflege arbeiten können.

Die Initiative wurde vom Bundesrat ohne einen Gegenvorschlag abgelehnt..... Die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit entwarf einen indirekten Gegenvorschlag, der nur noch zwei unserer vier Forderungen enthält. Mager genug. Aber selbst diese Version findet in unseren Räten keine Mehrheiten.

Das ist die Währung über die wir hier sprechen, wenn es ums Thema «Aufwertung der Pflegeberufe» geht. Keiner spricht über bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal auf den Schichten, eine Verbesserung der Pflegequalität oder höhere Löhne. Die Politik kann sich noch nicht einmal dazu durchringen, die Kantone zu verpflichten, mehr Pflegende auszubilden und dass Pflegende Leistungen aus ihrem Fachgebiet direkt mit den Krankenkassen abrechnen können. (Welche Lobby da wohl dahinter steckt?).

Und damit kommen wir zum Punkt des heutigen Beitrages: Wir haben sehr gut gehört, wer gegen uns ist. Sie sind laut, sie sind klar, sie sind überall. Wir würden nun gerne einmal hören, wer für uns ist. Nicht in irgendwelchen abgespeckten Formen. Nicht mit einem «Ja, aber…». Welche Politikerinnen und Politiker in der Schweiz stehen mit uns für die Forderungen der Pflegeinitiative? Melden Sie sich! Wir sind sehr an Ihnen interessiert.

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Die Sache mit dem Jammern - von Madame Malevizia

 

«Die Pflegenden jammern nur!» Dieser Vorwurf trifft mich jedes Mal wie ein Peitschenhieb. Ich zucke innerlich zusammen. Ich will doch nicht jammern. Mehr als einmal habe ich mich gefragt, soll ich dies oder jenes schreiben, oder wird es dann als jammern wahrgenommen? Und gerade jetzt frage ich mich, warum ist jammern so verpönt?

Ich denke es liegt zum einen daran, weil es nicht angenehm ist, zu hören, dass es jemandem, in diesem Fall einer gesamten Berufsgruppe schlecht geht und sie kurz vor dem Zusammenbruch steht. Wir haben es lieber, wenn die «Happy – Life» - Momente geteilt werden. Und gerade von Pflegenden wird erwartet, dass sie ihren Beruf als Bestimmung und Erfüllung erleben. Da stört es ungemein, wenn diese gerade jetzt die Schatten dieses lichtvollen Berufes an die Öffentlichkeit zerren.

Und wenn wir es genau betrachten, wenn wir diesen Stimmen, die immer lauter werden zuhören, müssen wir feststellen: Was gerade im Gesundheitswesen geschieht ist ein Skandal und eine Katastrophe. Wenn wir wirklich hinsehen, stellen wir fest, dass in den letzten Jahren so viel schiefgelaufen ist, dass Menschen in Lebensgefahr bald nicht mehr rechtzeitig gerettet werden können. Was gerade jetzt im Gesundheitswesen geschieht, ist ein Tanz mit dem Feuer. Das zu realisieren macht Angst. Dann lieber die Killerphrase: «Euer jammern, nervt», benutzen und zurück in die Comfort – Zone, des nicht wissen wollens.

Ein Kommentar, ging noch weiter. «Heul leise!», meinte dieser. Tut mir leid, diesen Gefallen kann ich ihm nicht tun. Wir Pflegenden haben nämlich schon viel zu lange leise vor uns hin gelitten. Und was hat es uns gebracht? Jedes Jahr erneute Sparmassnahmen auf unserem Rücken, Politikerinnen und Politiker, sowie weite Teile der Gesellschaft, die keinen blassen Schimmer haben, was Pflegende tun. Schweigen und leise sein, ist einfach keine Option mehr.

Als Pflegende übernehme ich die Verantwortung für Menschen, deren Leben und deren Unversehrtheit bedroht ist. Wenn ich diese Verantwortung nicht mehr tragen kann, ist es meine Pflicht, dies zu äussern. Und genau das tue ich und glücklicherweise immer mehr meiner Kolleginnen und Kollegen.

Ich sage, wie es ist, weil ich will, dass diese Realität endlich zum Thema wird. In der Politik und der Gesellschaft. Denn erst dann, werden wir auch in der Lage sein, sinnvolle Lösungen zu finden.

Und wenn wir diese Lösungen umgesetzt haben, werde ich endlich das tun können, was ich schon immer wollte: Den schönsten Beruf der Welt ausüben.

Dienstag, 1. Dezember 2020

Kein Skandal? Kein Interesse! - von Christina Schumacher

Der Alltag an der Pflegebasis ist gerade nicht sehr schön. Er ist auch nicht härzig oder befriedigend, vor allem aber ist er nicht skandalös genug. Nicht skandalös genug, dass es die Öffentlichkeit und damit auch die Medien, interessieren würde. Schön wären solche Bilder, wie wir sie im Frühling aus Italien gesehen haben. Pflegende mit Druckstellen im Gesicht vom tagelangen Tragen der FFP2 Masken, mit dicken Augenringen, strähnig-fettigem Haar, traurigem Blick. Auch die Fotos jener amerikanischen Kollegin, ihr Bildvergleich „Wie es begann“ und „Wie es läuft“, stösst auf grosses Interesse. Beim Berufsverband der Pflege SBK gingen bereits zig Anfragen ein, ob wir Personen „für solche Fotos“ vermitteln könnten. Können wir nicht. Nur schon aus Gründen der Pietät.

Oder die Geschichte von Sophia. Der portugiesischen Pflegefachfrau ist in Vila Nova de Gaia eine Wandmalerei gewidmet. Darauf schlägt sie mit einem Baseballschläger auf das Corona Virus ein. Nachdem sie selbst mit einem schweren Verlauf an COVID-19 erkrankt war, arbeitet Sophia nun wieder 18 Stunden Schichten für neun Euro die Stunde. Da können wir natürlich nicht mithalten. Und darüber sind wir froh

In Grossbritannien sind bisher bereits über hundert medizinische Fachpersonen an einer COVID-19 Infektion gestorben. Auch da können wir „leider“ nicht mithalten. Auch darüber sind wir unendlich froh.

Das Interessante sind die Skandale, die Katastrophen, das Schaurige. Das, was einem Angst macht. Wir haben vielleicht keine Druckstellen im Gesicht und tatsächlich schaffte es die reiche Schweiz mittlerweile auch an den allermeisten Orten genügend Schutzmaterial zur Verfügung zu haben für das medizinische Fachpersonal. Das Arbeitsgesetz ist – noch – nicht wieder ausser Kraft gesetzt in den Spitälern und der Reallohn einer Pflegenden ist in der Schweiz höher als in Portugal. (Gemessen am durchschnittlichen Einkommen im Land allerdings nicht.) 

Nichts desto trotz geschehen aktuell in den Gesundheitsinstitutionen der Schweiz – und längst nicht etwa nur auf den Intensivstationen – Tag für Tag stille und einsame Tragödien. Ausgelöst durch dieses Virus und durch den Fachkräftemangel in der Pflege. Die meisten dieser Tragödien hätten verhindert werden können. Wenn man früher und gründlicher auf das Virus in der zweiten Welle reagiert hätte. Und wenn man auf den Pflegenotstand überhaupt reagiert hätte. Diese Tatsache IST ein Skandal, aber halt keiner, der schaurig genug wäre. 


P.S.: Wir sind traurig. Sr. Liliane Juchli, die "Grande Dame" der Pflege ist gestern an einer Infektion mit dem Corona Virus verstorben. Trauer hat mitunter eine lähmende Wirkung. Aber Sr. Liliane hätte genau das hier von uns erwartet: Dass wir weiter machen. Im Sinne ihres Vermächtnisses - und darüber hinaus. 

Montag, 23. November 2020

VOM STERBEN MIT COVID-19 - von Christina Schumacher

Der Tod gehört zum Leben dazu. Als Pflegefachfrau bin ich dazu ausgebildet, Menschen in allen Phasen ihres Lebens zu begleiten. Auch in ihrem Sterben. Sterbebegleitung ist ein Teil meines Berufes. Sterben ist keine misslungene Medizin. Der Mensch stirbt irgendwann und er darf das. Auch im Spital. Auch auf der Intensivstation. Bei einer aussichtslosen Prognose machen wir einen Therapieabbruch. Alle lebenserhaltenden Massnahmen werden eingestellt und der Patient, die Patientin darf gehen. Als Expertin Intensivpflege bin ich da für meinen Patienten. Auch in seinem Sterben und unmittelbar danach. Niemand soll unter Schmerzen sterben. Niemand soll leiden in diesen letzten Stunden und Minuten.

Fast mehr noch als für die sterbende Person bin ich da für ihre Angehörigen. Die einsamen Begleiter am Bett. Die, die ich oft schon seit Tagen oder Wochen kenne. Die, deren Bangen, Hoffen, Warten und Trauern ich miterlebt habe. Ich bin da, ich halte Hände, höre zu, trockne Tränen, fange Wut auf, helfe Ängste durchzustehen. Wem das nun zu sehr nach barmherziger Schwester tönt: Nein, das ist es nicht. Das ist professionelle Pflege. Begleitung von Menschen in Krisensituationen. Dazu braucht es ganz viel Fachwissen, Sozialkompetenz und nicht zuletzt auch die Fähigkeit mit dieser eigenen psychischen Belastung umzugehen. Immer wieder als Mensch da zu sein, emotional anwesend, ohne dabei abzustumpfen und ohne daran zu zerbrechen. Das ist eine der grössten Herausforderungen in meinem Beruf.

So ist das in «normalen» Zeiten. Aber die Zeiten sind nicht normal. Sterben mit COVID-19 ist anders. Sterben mit COVID-19 ist ein einsames Sterben. Die Patienten sind isoliert. Besuch ist nur sehr begrenzt erlaubt. Bei beatmeten Patienten ist es eine Stunde täglich. Körperkontakt nur mit Handschuhen. Keine Umarmungen, keine Küsse. Die restlichen 23 Stunden des Tages sind die Patienten alleine mit uns vermummten Gestalten vom Behandlungsteam. Die Schutzkleidung ist unabdingbar und wir geben alles, genauso präsent zu sein. Aber die Nähe ist nicht dasselbe. Isolierte Patienten sind die einsamsten Menschen in einem Spital.

Gestern haben wir bei einem älteren Patienten mit COVID-19 die Therapie eingestellt. Ich stand zusammen mit seiner Ehefrau am Bett, als er starb. Die beiden waren über fünfzig Jahre verheiratet. So viele Jahre zu zweit und nun stand sie alleine da, am Bett ihres toten Mannes. So verloren. So verlassen. «Und ich darf ihm noch nicht einmal ein letztes Müntschi geben», flüsterte sie. Ich spürte, wie in diesem Augenblick etwas in mir zerbrach, das all die Jahre als Pflegefachfrau gehalten hatte.

(Anmerkung: Die Verfasserin ist nicht die «Ich»-Person in diesem Text. Es sind geliehene Worte für die Pflegenden auf den Intensivstationen, die in diesem neuen Sterben kaum mehr Worte haben. Ganz besonders ist dieser Text für meine Freundin K. Sie stand mit jener Ehefrau am Bett.)

Sonntag, 22. November 2020

Fachfrauen an die Front! - von Christina Schumacher

 

Wir haben ein Problem. Naja, wir haben mehrere. Aber eines haben wir ganz besonders: Es besteht ein riesiger Graben zwischen dem, was Pflegefachpersonen tun – und zwar tagtäglich, nicht nur zu Zeiten der Pandemie – und dem, was die Öffentlichkeit, inklusive Politik glaubt, dass wir tun. In den Köpfen spuken immer noch Bilder herum entweder von demütig-duldsamen Ordensfrauen, die schweigend von einem Arzt (ja, männlich, ausschliesslich) ihre Instruktionen entgegennehmen und deren hauptsächliche Tätigkeit das Auflegen ihrer Hände ist oder dann von sexy-hexy Krankenschwestern, die fröhlich durch die Gänge hüpfen und dem Arzt (immer noch männlich) untergeordnet sind. Vielleicht zerstöre ich nun ein paar Illusionen, aber: So ist es nicht. Weder noch. Und war es zum grössten Teil auch nie. Ich habe noch einige Ordensfrauen im Beruf erlebt. Die hatten dann Haare auf den Zähnen! Und Fachwissen im Gepäck! Vor denen hat so mancher Arzt gezittert. Ärztinnen übrigens auch. 

 

Diese Bilder aber, die unbestritten einfach da sind, führen vor allem dazu, dass man uns als Berufsgruppe nicht ernst nimmt. Die Pflege erbringt über 80% der Arbeit bei Personen, die an COVID-19 erkrankt sind. Die Pflege erbringt ebenfalls über 80% der Arbeit zum Schutz von besonders gefährdeten Personen. Gerade in den Langzeitinstitutionen. Gerade in der Spitex. Pflegefachpersonen mit ihrer Expertise sitzen aber nirgendwo in den Krisenstäben zur Bewältigung der Pandemie. Man spricht nun zum zweiten Mal über den Einsatz von Militär und Zivilschutz. Eine gute Idee. Nur: Ob und wie Militär und Zivilschutz in der Pflege eingesetzt werden können, muss man schon mit uns besprechen. Ohne Kenntnisse darüber, was die Pflege eigentlich tut und insbesondere darüber, welche Aufgaben und Kompetenzen die einzelnen Ausbildungsstufen haben, ist solch ein Einsatz zum Scheitern verurteilt. Man kann keine Expertin Intensivpflege mit einem Sanitätssoldaten ersetzen (ausser er ist im zivilen Leben Experte Intensivpflege, aber dann wird er nicht eingezogen in der aktuellen Situation). Es gibt durchaus Tätigkeiten und Einsatzgebiete für Militär, Zivilschutz und ja, auch für Freiwillige. Man muss das aber koordinieren.

Es müsste doch – beim Stand der Pandemie zum jetzigen Zeitpunkt – von oberstem Interesse sein, dass die Fachkenntnisse von Pflegenden am genau richtigen Ort eingesetzt werden. Und nur dort. Es darf zum Beispiel nicht an den mangelhaften Strukturen zur Kinderbetreuung scheitern. Ein Punkt, den ich seit dem Frühling 2020 immer wieder erwähne - erfolglos: Stellt nicht einen Zivildienstleistenden auf eine Intensivstation. Stellt ihn der Expertin Intensivpflege nach Hause, dass er dort die Kinder betreut und sie auf die Intensivstation. Schafft Strukturen, dass Pflegefachpersonen jetzt am richtigen Ort sein können. Nehmt ihnen organisatorisch alles ab, was jemand anderes tun kann. Versorgt sie mit Essen. Stellt ihnen Parkplätze zur Verfügung oder setzt eine Transportkompanie ein, um Pflegende zur Arbeit und von dort nach Hause zu bringen – egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit.

 

Aber ganz zuerst und bis ganz am Ende: Fragt uns! Hört uns zu! Wir sind die Berufsgruppe der Stunde – ob einem das nun gefällt oder nicht – und Krisenmanagement können wir.

 

Christina Schumacher,

dipl. Pflegefachfrau und Unteroffizierin der Schweizer Armee a.D.

Samstag, 21. November 2020

Mensch - von Madame Malevizia

 

«Wir sind doch auch nur aus Mensch, aus Knochen und Fleisch, ein Herz das schlägt, Seele und Geist. Wieviel können wir geben und wieviel verträgt es. Einfach nur Mensch aus Knochen und Fleisch.»

Dieser Refrain vom Lied «Us Mänsch (Bligg und Marc Sway), geht mir nicht mehr aus dem Kopf, seit ich den Kommentar von Ch. Mörgeli zur Irina Hellmann gelesen habe. Er stösst in dasselbe Horn wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen der bürgerlichen Parteien. Auch in der Bevölkerung gibt es ähnliche Haltungen. Immer wieder hören wir: «Solange sie noch Zeit haben, zum bloggen/ protestieren oder so, kann es ja nicht so schlimm sein.» Wir werden als «Jammeris» dargestellt und wer sich offen zeigt, wird persönlich angegriffen.

Ich kann dazu nur eines sagen: Wer keine Argumente mehr hat, der zielt halt ad hominem, also auf den Menschen. Schon deswegen habe ich keine Lust auf Herrn Mörgelis Frontalangriff zu antworten. Doch möchte ich zwei Dinge klarstellen:

Pflegende sind weder Superwoman, noch Heilige, noch eine eigene Spezies. Wir sind Menschen!

Und als Menschen haben wir Rechte. Das Recht auf Freizeit, zum Beispiel. Und anstatt diese ohnehin schon knappe Zeit, zur Regeration von unserem Knochenjob nutzen zu können, gehen wir auf die Strasse oder hämmern in die Tastatur um die Politik und die Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen, dass wir gerade sehenden Auges in eine riesige Katastrophe hineinrasen. Wir tun das, weil wir es als unsere Pflicht ansehen, die Dinge beim Namen zu nennen, weil wir genug davon haben, für Dinge die Verantwortung übernehmen zu müssen, die wir nicht in der Hand haben. Und genau deshalb stehen wir jetzt hin und nehmen unsere Rechte wahr. Das Recht der Meinungsäusserung ebenso, wie unsere Berufsrechte. Wir haben das Recht Grenzen zu setzen. Ich bin froh und dankbar, dass unsere Berufsverbände und Gewerkschaften jetzt laut sind und die Schweinereien, die laufen beim Namen nennen. Das ist nicht jammern, das ist sagen wies ist. Und wer das nicht aushält, sollte sich dringend Hilfe suchen.

 Pflegende sind kluge, reflektierte Menschen, sie sind geduldig, aber sie lassen sich nicht mehr länger verarschen!

Einige werfen uns vor, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist. Schliesslich sind wir mitten in einer Krise. Diese Haltung hatten wir in der Ersten Welle auch. Wir haben uns darauf konzentriert unsere Arbeit bestmöglich zu tun. Wir haben darauf vertraut, dass danach auf uns gehört wird und sich im Gesundheitswesen etwas ändert. Dann kam der Sommer, es wurde überall ruhiger. Die Politik hat über alles Mögliche und Unmögliche gesprochen. Doch zum Pflegenotstand verlor keiner ein Wort.

Viele von uns haben sich geschworen: «Ich gehe nicht noch einmal schweigend durch diese Krise.» Und darum nehmen wir uns trotz allem die Zeit uns zu positionieren und aufzuklären. Ja, das kann etwas nerven und genau das soll es auch, denn nur so, werden wir offensichtlich wahr – und irgendwann mal auch ernst genommen. 

Zu sagen «Es kann ja nicht so schlimm sein», oder «jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt», ist sehr einfach. Es ist das bewusste Verschliessen vor der Realität und Verhindern jeglicher sinnvoller Lösung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ihr jetzt mit mir zusammen hinsteht, ob offen mit Eurem Gesicht oder anonym: Lasst Euch von diesen Angriffen nicht entmutigen, sondern nehmt sie als Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Freitag, 20. November 2020

Verluste - von Madame Malevizia

Ich bin in grosser Sorge, um alle meine Kolleginnen und Kollegen, die jetzt gerade mitten in diesem Erdbeben des Gesundheitswesens stehen. Wir alle sehen, wie es kaum mehr geht. Müssen Dinge am Laufen halten, die eigentlich gar nicht mehr am Laufen gehalten werden können. Wir sehen und hören Dinge, die belasten, uns hilflos und ratlos zurücklassen. 

Eine Kollegin hilft auf der Intensivstation aus. Betten hat es keine mehr, innert 40 Minuten drei Covid Positive neu aufgenommen. Die Entscheidung, wen behandeln wir noch und wen nicht kommt immer näher. Eine gestandene Pflegefachfrau mit extrem viel Erfahrung und Fachwissen - am Boden und mag nicht mehr.

Eine weitere Kollegin hatte gestern ihren letzten Arbeitstag auf der Intensivstation. Über zehn Jahre hat sie mit viel Herzblut am Bett gearbeitet. Nach der 1. Welle hat sie gekündigt und sich eine Stelle weg vom Bett gesucht. Sie kann nicht mehr. Ständig in diesem Spannungsfeld sein zwischen dem, was gute Pflege ist und dem was man bieten kann, nämlich maximal sichere Pflege, hat sie zermürbt. Die letzten Wochen haben ihr noch den Rest gegeben, sie will nur noch weg. 

Diese beiden Geschichten zeigen, wir verlieren gerade. Nicht nur Patienten, sondern gute, engagierte Pflegende. Still und leise, verlassen sie ihre Arbeitsplätze. Sie gehen. Nicht weil sie ihre Arbeit nicht mehr lieben, sondern weil sie sich selbst schützen müssen. Für das Gesundheitswesen sind solche Abgänge ein riesiger Verlust. Ein Verlust an Erfahrung und Fachwissen, der nicht einfach so ersetzt werden kann.

Es ist deshalb von enormer Wichtigkeit, dass Pflegende jetzt in dieser Krise besonders unterstützt werden. In Form von Coachingangeboten zum Beispiel oder anderen Gefässen, die zumindest eine emotionale Entlastung ermöglichen und verhindern, das Pflegende traumatisiert aus dieser Zeit herauskommen . Doch wer tut das? Richtig, niemand. Im Gegenteil. Politisch hören wir noch, dass wir zynisch sind, wenn wir jetzt Forderungen stellen.

Der Ernst der Lage wird weiter heruntergespielt. Es wird von verfügbaren Betten gesprochen, es werden Spitalleitungen gefragt, wie es geht. Aber niemand fragt die, die jetzt gerade an der Basis ihren Mann oder ihre Frau stehen. Mit Basis meine ich alle Gesundheitsbereiche, denn das Covid – Erdbeben ist flächendeckend.

Ich weiss, viele «da draussen», die nichts mit der Pflege zu tun haben, wollen das nicht hören. Sie schauen sich lieber die Zahlen an, weil Zahlen so schön rational und deshalb besser aushaltbar sind. Es ist einfacher, zu sagen: «Die haben diesen Beruf gewählt, die müssen das können!» Diesen Menschen möchte ich nur eines sagen: Pflegefachperson ist ein Beruf, keine eigene Spezies. Auch wir sind Menschen. Auch wir haben das Recht auf unsere Würde und Unversehrtheit. Und wenn jetzt nicht Sorge getragen wird zu diesen Menschen, werden die Verluste gross sein. 

Madame Malevizia



Sind Sie für uns? - von Christina Schumacher

Es darf und muss auch einmal gesagt werden: Wir Pflegenden erleben gerade in der aktuellen Situation mit der COVID-19 Pandemie sehr viel S...